Die Predigerin

Bei James Bond verkörperte Judi Dench jahrelang M – die Chefin des Geheimdienstes MI6. Bei Volvo ist Bodil Eriksson die Chefin der neuen Mobilitätsmarke M. Sie bündelt weltweit alle Mobilitätsaktivitäten der Marke. Im exklusiven Interview in Zürich erklärte die Schwedin, warm man die Mobilität überdenken muss.

Bodil Eriksson, Sie sind CEO von M – das klingt nach James Bond und Secret Service. Was genau steckt hinter diesem M by Volvo?

Wir sind im Juli 2018 mit dem Anspruch gestartet, ein Produkt zu lancieren, das sich auch vom Namen her als echte Alternative zu den bestehenden Mobilitätsangeboten positioniert. M war unser simpler Arbeitstitel – aber je länger wir damit gearbeitet haben, desto passender erschien er uns. Nun soll M zu einer Art Bewegung werden, der sich immer mehr Menschen anschliessen. M will das Verständnis von Mobilität verändern und die Sichtweise auf das Thema Auto positiv beeinflussen. M ist der neue Ansatz, wie wir in Städten mit dem Thema Mobilität umgehen.

2019 wurden in der Schweiz 311 466 neue Autos immatrikuliert. Haben sich diese Käufer aus Ihrer M-Sichtweise geirrt, weil sie ihr Auto gekauft oder geleast haben, statt sich dem Carsharing- Angebot von M anzuschliessen?

Es wird – auch in der Schweiz – immer Menschen geben, die ein Auto besitzen müssen, um von A nach B zu kommen. Leute, die beispielsweise auf dem Land leben oder aus familiären Gründen auf ein eigenes Fahrzeug angewiesen sind. Was ich mir aber für die Zukunft wünsche, ist, dass die Autofahrer sich selber bewusst werden, wie oft und in welcher Art sie ihr Fahrzeug wirklich brauchen, und aufgrund dieser Erkenntnisse ihre Reise- und Mobilitätsgewohnheiten überdenken.

Warum ist das nötig?

Weil laut der Wissenschaft in 15 Jahren bis zu 70 Prozent der Erdbevölkerung in Städten leben werden. Und wir wissen, dass Menschen in Städten Autos anders brauchen als auf dem Land. In der Stadt gibt es diverse Transportmittel. M ist ein Angebot, das sich vor allem an Städter richtet, die noch immer ein Auto besitzen, obwohl sie es nur ein-, zweimal pro Woche benutzen.

Um dieses Umdenken zu forcieren, braucht es noch sehr viel Überzeugungsarbeit. Fühlen Sie sich eher als Predigerin denn als Chefin von M?

Ich und Predigerin? Aber ja, das kann man durchaus so sagen. Meine Arbeit verlangt derzeit sehr viel Überzeugungskraft. Sie hat auch etwas mit Erweckung zu tun, beispielsweise von Firmen.

Wie meinen Sie das konkret?

Warum leasen Firmen noch immer riesige Flotten von eigenen Fahrzeugen und belasten damit ihre Budgets? Das ist verrückt! Warum nehmen sie nicht einfach einen Dienst wie M in Anspruch, der ihnen Fahrzeuge dann zur Verfügung stellt, wenn diese gebraucht werden? Wir müssen dieses tradierte Denken unbedingt überarbeiten – dafür predige ich gern über M und dessen vielfältigen Vorteile.

Und wie erklären Sie die M-Bezeichnung «smart car sharing»? Auf Ihrer Webseite versprechen Sie ja «einen neuen Standard für Konsumenten- erlebnisse und techbasierte Mobilität».

Das erkläre ich gern am Beispiel von Spotify und meinem persönlichen Musikkonsum. Als Spotify auf den Markt kam, war der Dienst längst nicht so gut wie heute. Bei der Suche auf Spotify konnte ich damals meine geliebten Opern oder Kate Bush nur mühsam finden. So blieb ich lange meiner CD-Sammlung treu. Ein paar Jahre später versuchte ich es wieder – da war Spotify bereits die beste Musikbibliothek der Welt. Denn Spotify hat gelernt zu erkennen, wer ich als Nutzer bin und welchen Musikgeschmack ich habe – und mit dieser Erkenntnis begann Spotify mich zu ändern. Plötzlich hörte ich mir ganz neue Musik an und erhielt Playlisten vorgeschlagen, die mir eine völlig neue Welt eröffneten.

«Wir nehmen unsere Kunden quasi bei der Hand.»

BODIL ERIKSSON, CEO VOLVO CAR MOBILITY M

Was hat das mit M zu tun?

Genauso wie bei Spotify muss Smart Digital Data eingesetzt werden. Das Gleiche versuchen wir mit M. Die Technologie soll von seinen Nutzern lernen und zeigen, wie man sich anders verhalten kann. Diese Entwicklung verstehen wir als Prozess des «smart car sharing». Wir kommen weg vom Auto und der simplen Buchungsplattform. Wir setzen auf ein tieferes Verständnis unserer Kunden und wie wir unser Angebot für sie verbessern können.

Und welchen Nutzen bringt M unserer Gesellschaft? Auf der Website versprechen sie ja, dass ein M-Auto zehn private Autos ersetzt.

Mit M sehen wir ein grosses Verbesserungspotenzial für unsere Gesellschaft. Ich glaube, dass M auf der persönlichen Ebene eine ganz neue Zufriedenheit generiert. M demokratisiert in gewisser Weise die Technologie und den Zugang zu einem Premium-Fahrzeug. Weil: Man braucht nicht das ganze Geld, um sich ein eigenes Auto zu kaufen oder um ein eigenes Fahrzeug zu leasen. Man muss sich zudem nicht die ganzen Nebenkosten wie Wartungen, Parkgebühren oder Treibstoffkauf aufbürden, die ein Autokauf mit sich bringt. Und als temporärer Nutzer eines M-Fahrzeugs braucht man nur die wichtigsten Dinge zu wissen, um das Auto zu fahren. Das Benutzerhandbuch muss man nicht auswendig lernen. Zudem können wir Volvo Cars dabei helfen, zu verstehen, welche Technologien wie funktionieren müssen, damit sie auch intuitiv genutzt werden.

M wurde in Schweden mit 250 Stationen gestartet: Ein Erfolg?

Ja, zurzeit haben wir in Schweden bereits etwa 20 000 Kunden. Unser Angebot besteht hier aus rund 700 verfügbaren Fahrzeugen verteilt auf 250 Ausleihstationen. Und in einigen Monaten rollen wir M mit mehreren Tausend Autos auf ganz Schweden aus. An einer Station – in Parkings oder an der Strasse – stehen dann bis zu sechs Fahrzeuge bereit. So wollen wir dazu beitragen, dass weniger private Autos in den Städten ungenutzt herumstehen.

Wie können Sie garantieren, dass M-Fahrzeuge an der bevorzugten Station bereitstehen?

Das ist die 1 000 000-Franken-Frage. Grundsätzlich ist es so, dass unser Datensystem von seinen Nutzern lernt und mit der Zeit weiss, wo wann wie viele Fahrzeuge gebraucht werden. Die Wochenenden stellen dabei eine grosse Herausforderung dar – es ist sehr schwierig, verlässliche Voraussagen zu machen, welche Anzahl Autos wo verlangt wird. Hier arbeiten wir an verschiedenen Lösungsansätzen, beispielsweise mit dem Einbezug von Fahrzeugen aus unserem Händlernetz. Und natürlich bieten wir unseren Stammkunden eine prioritäre Behandlung ihrer Anfragen. So oder so: In diesem Bereich entwickeln wir uns ständig weiter – und mit jeder Buchung lernt unser System dazu.

«Ich glaube, dass M auf der persönlichen Ebene eine ganz neue Zufriedenheit generiert.»

Bodil Eriksson

Können Sie uns das M-Preismodell und die Überlegungen dazu erklären?

Als wir mit M auf dem Testmarkt starteten, sahen wir ein All-inclusive-Angebot vor, in dessen Stundenansätzen möglichst viele und einfach abrufbare Leistungen inbegriffen waren. Heute haben wir ein verbessertes Mix-Modell: In allen Mietpreisen sind Treibstoff, Strassen- und Autobahngebühren, 300 Kilometer pro Tag sowie Versicherungen inbegriffen. Und man hat mit M einen garantierten Parkplatz, dort, wo man das Auto abholt und zurückbringt. Nach den ersten Testmonaten haben sich drei Preismodelle abgezeichnet, die wir weiterverfolgen: Der Wenignutzer bezahlt keine Monatsgebühr, dafür höhere Stundenansätze. Der durchschnittliche Nutzer fährt M-Autos 10 bis 30 Stunden pro Monat zu einer Monatsgebühr von rund 20 Franken. Der Vielnutzer fährt mehr als 30 Stunden pro Monat, will das Fahrzeug wöchentlich zum gleichen Termin und bezahlt rund 90 Franken pro Monat. Bei allen drei Varianten variieren die Stundenraten. Dabei kann die Kundschaft ohne Aufpreis zwischen fünf verschiedenen Volvo Modellen wählen – vom kleinen XC40 bis zum grossen SUV XC90.

Gibt es Altersbegrenzungen oder Ausschlüsse von Risikogruppen bei M?

Es ist zugegebenermassen eine Herausforderung, mit solchen Themen sorgfältig umzugehen. Es besteht immer die Möglichkeit, dass gewisse Risikogruppen versuchen, Zugriff auf unsere Fahrzeuge zu bekommen. Wir haben zur Vorbeugung ein Risikoteam zusammengestellt, das sich um die Überwachung der M-Fahrzeuge kümmert. Zusätzlich arbeiten wir eng mit der Polizei zusammen. Es wird sich erst zeigen, wie weit wir in diesem Bereich gehen müssen.

Was sind die Zukunftspläne von M? Wann kommt dieser Dienst in die Schweiz?

Die nächsten Märkte, die wir erschliessen wollen, werden in Europa sein. Noch haben wir uns nicht entschieden. Aber wir sind sehr an der Schweiz interessiert. Schliesslich gibts in der Schweiz mit Mobility bereits einen Pionier in diesem Bereich, der bewiesen hat, dass ein solches Mobilitätsangebot einem Bedürfnis entspricht.

Und wo steht M in zehn, in fünfzig Jahren?

Ich glaube, die Thematik Volvo Car Mobility ist riesig. Ich höre von so vielen, dass der eigene Wagen zu grossen Teilen in der Garage steht und dass man sich überlegt, dies nachhaltig zu ändern. Viele Menschen signalisieren, dass sie offen sind für neue Lösungen. Was wir akzeptieren müssen: Die Gesellschaft braucht lange, um neue Angebote wie M anzunehmen. Wenn es aber so weit ist, dann hoffe ich, dass M eine der Marken ist, die unser Verhalten in Sachen Mobilität mitgeprägt und zum Positiven verändert haben.

M

Die Volvo Car Group gründete im Sommer 2018 unter dem Dach von Volvo Car Mobility die Mobilitätsmarke M. Darin werden alle weltweiten Mobilitätsaktivitäten von Volvo gebündelt. Zudem bietet eine neue, intuitiv bedienbare App zuverlässig Zugang zu Fahrzeugen und Dienstleistungen auf Abruf. M ist in der Lage, die Bedürfnisse, Vorlieben und Gewohnheiten seiner Nutzer zu lernen und so die Kunden-
beziehungen zu personalisieren. Gestartet wurde der Dienst im Frühjahr 2019 in Schweden und den USA.